Obwohl ich selbst seit vielen Jahren regelmäßig den Zeichenstift schwinge, eine künstlerische Ausbildung durchlaufen habe und heute mit dem Stift in der Hand mein Geld verdiene, gibt es ein paar Dinge, von denen ich wünschte, ich hätte sie früher gewusst. Vielleicht hat der ein oder andere Dozent diese Dinge während des Studiums auch mal erwähnt und ich habe geschlafen oder gedacht sie seien nicht abspeicherungswürdig . Jedenfalls – Könnte ich meinem jüngeren Ich heute ein paar Tipps geben, es wären die Folgenden:
1. Zeichnen lernen = Sehen lernen
Jahrelang hab ich gedacht, man zeichnet mit der Hand. Aber das stimmt nur so halb. Noch viel wichtiger als der Stift in der Hand ist ein waches und neugieriges Auge (oder zwei ;-)). Man kann es nicht oft und nicht laut genug sagen, deshalb schreie ich jetzt mal:
Wer zeichnen lernen will muss zuallererst sehen lernen!
Ihr könnt hier schon fast aufhören zu lesen, denn dieser Punkt ist so wichtig, dass er alle anderen in den Schatten stellt. Das liest sich vielleicht banal, ist für die Entwicklung der eigenen Zeichenskills aber unerlässlich.
Wenn ihr ein Haus zeichnen möchtet, müsst ihr wissen wie ein Haus aussieht. Wenn ihr einen Menschen zeichnen möchtet, müsst ihr wissen wie ein Mensch aussieht, usw.
Ich höre euch bereits sagen: „Äh… jedes Kind weiß doch wie ein Mensch oder wie ein Haus aussieht.“ – Und das stimmt auch. Wir alle haben in unserem Kopf eine Vorstellung eines Menschen, eines Hauses und von all den anderen Dingen, die uns umgeben. Aber wenn wir diese Vorstellung zu Papier bringen, sind wir meistens ein bisschen entsetzt, wie sehr unsere Zeichnung von dem Bild, das wir im Kopf hatten, abweicht.
Wenn wir täglich durch die Straßen laufen, nehmen wir die vielen Häuser und Menschen zwar wahr, aber wir SEHEN sie nicht. Unser Hirn filtert ständig Unmengen an Informationen aus und speichert nur einen Bruchteil von dem ab, was wir sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen.
Keiner merkt sich die Sockelhöhe, Anzahl der Fenster, Farbe der Tür, Form des Dachs und all die anderen kleinen Details, die ein bestimmtes Haus ausmachen. Und so zeichnen wir, wenn wir ein Haus zeichnen sollen, irgendeinen Mischmasch, aus allen Informationen, die unser Hirn so zu bieten hat.
Deshalb geht raus, schaut euch Bücher und Bildbände an und übt das SEHEN.
SEHT wie groß oder klein, hoch oder tief etwas ist.
SEHT, ob etwas hell oder dunkel, schwarz/weiß oder farbig ist. Ist es vielleicht sogar durchsichtig? (ein Glas zum Beispiel)
SEHT euch die Zwischenräume an. Zwischen den Augen, Zwischen den Ästen eines Baums, zwischen den Rädern eines Autos. Zwischenräume sind ebenso wichtig, wie die Dinge selbst. Für den Charakter eines Portraits (egal welchen Stils) ist der Abstand der Augen zum Beispiel elementar. Dieser Zwischenraum ist bei jeder Person sehr individuell und bildet beim Zeichnen deshalb so eine Art Orientierungsanker.
Sehen lernen ist wichtig, wenn nicht sogar das Wichtigste beim Zeichnen. Die Natur und alles was uns umgibt, von der Kaffeetasse bis zum Wanderschuh, sind die besten Studienobjekte.
Wenn man einmal gelernt hat richtig zu SEHEN, kann man im Anschluss lernen zu abstrahieren und seinen eigenen Stil zu finden.
2. Proportionen erfassen durch richtiges Messen
Dass das Sehen wichtig ist, wisst ihr jetzt. Der nächste Schritt ist das richtige Messen. Dabei nimmt man natürlich nicht Lineal und Dreieck und misst millimetergenau alles aus, sondern man setzt eine Länge ins Verhältnis zu anderen Längen. Ein erwachsener Mensch ist zum Beispiel etwa 8 Köpfe groß. Der durchschnittliche Abstand zwischen den Augen beträgt ein Auge. Manche Nasen sind anderthalb Augen lang. ;-)
Damit man das nicht schätzen muss und weil jeder Mensch und jedes Objekt anders ist, gibt es einen einfachen Trick um Motive genau auszumessen. Das Messgerät – einen Stift – hält man dabei meistens schon in der Hand.
Mit ausgestrecktem Arm hält man ihn gerade (im rechten Winkel) auf Höhe des eigenen Gesichts. Der Kopf neigt sich dabei etwas zur Schulter. Mit dem Daumennagel kann man dann die Länge auf dem Stift markieren, für die man sich interessiert. (Bei einem Menschen z.B. die Länge vom Scheitel bis zum Kinn) Ohne dass der Daumen bewegt wird, kann man dann mit dieser Referenzlänge andere Längen ausmessen und kommt vielleicht zu dem Schluss, dass die eigene Mutter nicht 8 sondern nur 7,5 Kopflängen groß ist. Wer weiß.
3. Abstand halten
Beim Erfassen eines Objekts ist es wichtig, ausreichend Abstand zu halten. Je näher uns ein Objekt ist, desto widersprüchlicher sind die Informationen, die uns unsere Augen liefern. Ihr könnt das ganz einfach testen, indem ihr euer Telefon dicht vors Gesicht haltet und es erst mit beiden, dann nur mit dem rechten und als letztes allein mit dem linken Auge betrachtet. Ihr werdet drei verschiedene Bilder bekommen. Welches davon soll man jetzt zeichnen? Also: Zurücktreten ist wichtig. Sehen erfordert Abstand.
4. Weg mit dem Druck
Der Druck. Er ist überall, nicht nur im Druckbleistift. Zeitdruck und Perfektionsdruck stecken tief drin in unseren Köpfen und bremsen uns oftmals aus, bevor wir überhaupt anfangen. „Das wird eh nix.“; „Das schaff ich nie.“ „Das muss mir jetzt gelingen.“ Solche Sätze lähmen uns von Kopf bis Fuß und bringen überhaupt NICHTS. Ohne Übung kommt man nicht weiter. Übung erfordert viel Zeit und jede Menge Zeichnungen und Skizzen, die am Ende in der Tonne landen. DAS IST SO. Keiner wird geboren und kann perfekt zeichnen. Alle großen Künstler haben einmal ganz klein angefangen. Das einzige was sie vom Rest der Welt unterscheidet ist: Übung Übung Übung. Und wenn man mal keine Lust zum Üben hat oder anderweitig feststeckt, ist das auch ok. Das Leben ist keine Leistungskontrolle.
5. Man lernt nie aus
Ob ihr ins Museum geht, oder euren Lieblingskünstlern online folgt, ist quasi egal. Hauptsache ist, ihr habt Vorbilder und denkt nie (wirklich niemals): „Jetzt bin ich fertig. Jetzt kann ich alles.“ Zeichnen ist ein ständiger Lernprozess. Wenn man es einigermaßen kann, beginnt sich langsam so etwas wie ein eigener Stil zu formen. Und dieser Stil unterliegt einer ständigen Entwicklung.
Pablo Picasso hat einmal gesagt:
Ich konnte schon früh zeichnen wie Raffael, aber ich habe ein Leben lang dazu gebraucht, wieder zeichnen zu lernen wie ein Kind.
Picasso hat aber auch gesagt:
Das einzige, was ich in meinem Leben bedauere, ist, keine Comics gezeichnet zu haben.
Ihr müsst das nicht bedauern. Denn hier, am Ende dieses Textes verlinke ich gern nochmal zum Beitrag Zeichnen lernen – einfache Gesichter, einer Art Grundübung fürs Comiczeichnen ;-)
5 Kommentare
Liebe Caroletta,
Ich liebe alles Kreative, ob Sesselbezüge bemalen oder eine Leinwand, das ist egal, wichtig ist nur es einfach zu tun! Mein Sohn ist zwölf und liebt es mit Pinsel und Farbe oder auch anders kreativ zu sein! Von daher bin ich nun froh und bald auch mein Sohn hier zufällig bei dir gelandet zu sein!!
Danke!!
Liebe Diana!
Es freut mich, dass ihr d. Blog gefunden habt. Viel Spaß beim Stöbern und natürlich beim Kreativsein! :-)
LG, C.
Na, bitte! Der lange Stromausfall heute Abend war auch für was gut. Sonst hätte ich jetzt nicht mehr in fb gestöbert und diesen blog gefunden. Danke, werde öfter reinschauen.
Das freut mich! :-) Viel Spaß beim Stöbern…
LG, C.
Toll danke du hast mir die Augen geöffnet!
Sehr inspirierend!